900 Gäste erhoben sich von ihren Plätzen und spendeten stehend Applaus, als Angelika Bayer für die „Tag des Anstoßes“-Jury verkündete: „Der Stein des Anstoßes geht an Manfred Schürmann“. Der 77-jährige Ruller wurde am Freitag (20. November) in der Haselandhalle für seinen ehrenamtlichen Deutschunterricht für Aussiedler und Flüchtlinge geehrt. Das Motto der Ehrenamtsgala „Bildung in Wallenhorst – Mehr als Schule“ setzt er seit Jahrzehnten in seinem Engagement vorbildlich um.
In ihrer Laudatio würdigte Bayer die ehrenamtliche Lehrtätigkeit Schürmanns. Er habe Emigranten, Asylbewerbern, Kontingent- und Kriegsflüchtlingen sowie Spätaussiedlern Deutschunterricht erteilt. Er habe die Menschen im ehemaligen „Café Wittekindsburg“ in Rulle kennengelernt. Dabei sei ihm sehr bald deutlich geworden, dass die Erlernung der deutschen Sprache und das Kennenlernen der deutschen Kultur die unerlässlichen Voraussetzungen für ihre Integration seien. In seinem Unterricht habe Schürmann dabei eine ganz eigene Lehrmethode entwickelt, da er sich Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen gegenübersah. Die meisten hätten kaum Deutsch gekonnt. Umgekehrt seien seine Sprachkenntnisse auch begrenzt gewesen. Unter diesen Voraussetzungen erfolgreich zu unterrichten, habe enorme pädagogische Fähigkeiten verlangt. Schürmann habe sich auf verschiedene Mentalitäten einstellen und den Lehrstoff in einer Weise vermitteln müssen, sodass er trotz bestehender Verständigungsschwierigkeiten verstanden worden sei. Bewährtes Lehr- und Lernmaterial habe ihm dabei nicht zur Verfügung gestanden. Er habe sich durch Körpersprache und Zeichnen der Begriffe an die Tafel verständlich gemacht. Hier seien Fantasie und Geduld gefragt gewesen – Eigenschaften, die er in hohem Maße habe. Man könne ohne Übertreibung sagen, so Bayer, dass Manfred Schürmann auf seinem Gebiet Pionierarbeit geleistet habe. Im Laufe seiner Tätigkeit habe er über 1.000 Menschen vom Balkan, aus Osteuropa, Afrika und Asien sehr erfolgreich unterrichtet. Er mache aber in seiner Bescheidenheit kein Aufheben um sein ehrenamtliches Engagement.
Schürmann bedankte sich für die Auszeichnung mit dem „Stein des Anstoßes“. Diesen Preis könne man nicht ablehnen, erklärte der ehemalige Lehrer und Pädagoge. Er gehöre zu denjenigen, die den Preis vor über 15 Jahren ins Leben gerufen hätten. Er habe jedoch nie damit gerechnet, diesen selbst zu erhalten. Schürmann schloss mit den Worten des Kabarettisten Dieter Hildebrandt, der anlässlich einer Preisverleihung auf die Frage, wie er sich fühle, geantwortet habe: „Ich fühle mich hier ausgezeichnet.“
Das konnte er auch – ebenso wie die 900 Gäste der erstmals von Sven Lake moderierten Ehrenamtsgala. Denn der „Tag des Anstoßes“ bot mit seinen Ehrengästen und einem attraktiven Showprogramm „einen angemessenen Rahmen für die Würdigung der ehrenamtlichen Verdienste“, wie Bürgermeister Otto Steinkamp es formulierte.
Als Ehrengast begrüßte Lake Renate Zimmer, Professorin an der Universität Osnabrück und zugleich Leiterin des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung, zu deren Projekten das „Bewegte Lernen“ zählt. Dieses bringe sie gern unter dem Schlagwort „Toben macht schlau!“ in die Öffentlichkeit, so die Erziehungs- und Sportwissenschaftlerin. Toben bedeute, den Kindern Lebensfreude zu vermitteln und zur Aktivität anzuregen. Schlau heiße, die Kinder zu befähigen, mit den Problemen des Lebens zurechtzukommen. Kinder suchten Wege zur Problemlösung, sie müssten lernen, das Leben zu bewältigen, durchzuhalten und nicht aufzugeben, erläuterte Zimmer. Kindern müsse die Möglichkeit gegeben werden, ihren Weg zu finden. Die Notwendigkeit des „Bewegten Lernens“ begründete sie damit, dass Sitzen das ungesündeste für Kinder sei. Sechs Stunden zu sitzen, sei schädlich für die Kinder. Konzentrieren könne man sich nur, wenn auch Bewegung stattfindet. Deutliche Kritik übte Zimmer an der Bildungspolitik. Die Menschen würden immer älter, die Kindheit dagegen immer kürzer. Die frühe Einschulung, das Turbo-Abitur oder übersprungene Klassen führten dazu, dass 17-jährige auf die Universität kämen. Das Ergebnis sei dann die Einführung von „Elternabenden“ für Eltern der Studenten. Die Kindheit sei ein einmaliger Lebensabschnitt. Warum, fragte Zimmer, ließe man den Kindern diese Zeit nicht?
An der Gesprächsrunde mit Sven Lake nahm zudem Eugen Gehlenborg, Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), teil. Er war eigentlich als Grußwortsprecher vorgesehen, konnte aufgrund einer DFB-Präsidiumssitzung in Frankfurt jedoch erst mit Verspätung in Hollage erscheinen. Mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingssituation hob Gehlenborg das ehrenamtliche Engagement der Fußballvereine und ihre integrierende Funktion hervor. Sport habe die Kraft, Menschen zu verbinden. Menschen, die zu uns kämen, müssten so aufgenommen werden, wie wir es möchten, wenn wir anderswo um Aufnahme bäten.
Im Rahmenprogramm der Abendgala unterhielten die 53 Viertklässler der Erich-Kästner-Schule unter Leitung von Galina Hulm und Ute Stock mit ihrer Version der „Kleinen Nachtmusik“ von Wolfgang Amadeus Mozart die Gäste. Auch die 60-köpfige Kombination aus dem Schulchor der Erich-Kästner-Schule und dem kirchlichen Kinderchor „Music Kids“ unter Leitung von Maria Hartelt, Manuela Osterbrink und Ingrid Greuling überzeugte mit einem Auszug aus ihrem Musical „Der barmherzige Samariter“. Musikalisch hochkarätig präsentierten die vier talentierten Instrumentalisten und vier stimmgewaltigen Sängerinnen der Formation „Chuto M. Jive“ vom Institut für Musik der Hochschule Osnabrück Kostproben ihres Rhythm-and-Blues-Repertoires.
Eine als Unterhaltungsshow inszenierte sportliche Darbietung lieferten sechs Sportlerinnen und Sportler der von Tim Trappe geleiteten Judoabteilung des Sportvereins Blau-Weiss Hollage. Neben den mehr oder weniger bekannten Judovorführungen erlebten die Zuschauer etwas, das wohl nur die wenigsten bislang gesehen haben dürften: Judowürfe in Zeitlupe. Diese beeindruckende Demonstration wurde mit entsprechendem Applaus honoriert.
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